Sergeant Jean Mariani, Kriegsgefangener und die Widerstandsbewegung

Der französische Kriegsgefangene Sergeant Jean Mariani war im Reservelazarett Valduna als Hauselektriker beschäftigt.
Als
Mittelsmann der Rankweiler Widerstandsbewegung und den einrückenden französischen Truppen hat er sehr zum Wohle vieler Rankweiler vermittelt.


Jean Mariani

Jean Mariani, geb. 26. 2. 1909 in Paris, ein französischer Sergeant, geriet 1940 in den Ardennen in deutsche Kriegsgefangenschaft. Zuerst kam er zu Gleisbauarbeiten nach Vorarlberg, ungefähr ab 1942 war er im Reservelazarett Valduna in Rankweil als Hauselektriker tätig. Diese Aufgabe ermöglichte, dass er Zwecks Materialbeschaffung die Valduna immer wieder für kurze Zeit verlassen musste (konnte), z.B. ins Elektrofachgeschäft oder in die Drogerie in Rankweil.

Theatergruppe Folies Sulzoise, links Jean Mariani

Diese Möglichkeit dürfte er aber auch für andere Ausgänge genutzt haben, wie in die Nachbargemeinde Sulz, wo er sich oft mit Civilia Camille, einem belgischen Zwangsarbeiter, traf und die Theatergruppe Folies Sulzoise [1] aufgebaut und geleitet hat.

Jean und Maria Mariani.

Sein Sohn, Gerard Mariani, ist der Meinung, dass der Vater seine spätere Frau Maria Jenny (Gerard’s Mutter) nicht als Krankenschwester in der Valduna kennen gelernt habe, wie fälschlicherweise publiziert wurde [2], denn diese sei keine Krankenschwester gewesen, sondern Näherin. Das erste Mal begegnet seien sich die beiden zufällig in der Drogerie in Rankweil. Eine gute Freundin von Maria habe die beiden dann kurz danach näher zusammengebracht. Getroffen hätten sich die Beiden in aller Heimlichkeit. Dies hätten sie brieflich vereinbart, wie zahlreiche Briefe belegen.

So sind sie von solchen mittelaterlichen Methoden verschont geblieben.     Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen –>

Der Tischler Alfons Branner, ein erklärter (mehrmals verhafteter) Nazi-Gegner ebenso wie der Eisenbahner Franz Kielwein, waren bemüht, Rankweil vor zerstörerischen Kampfhandlungen zwischen der Waffen-SS und den immer näher rückenden französischen Truppen zu schützen.

Der Kontakt zur Widerstandsgruppe sei folgender maßen zustande gekommen:
Alfons Branner ersuchte eine gute Bekannte von ihm, Kontakt mit Maria Jenny (heimliche Freundin und spätere Frau von Jean Mariani) aufzunehmen, damit diese ihm einen Zugang zu Jean Mariani vermittle. Was letztlich auch erfolgte.

In der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 1945 versuchte Franz Kielwein gemeinsam mit dem Kriegsgefangenen Jean Mariani über das Telefonnetz der Eisenbahn vom Bahnhof Rankweil aus mit den Bahnhöfen, die schon von den Franzosen besetzt waren, in Verbindung zu treten. Es gelang ihnen mit den Bahnhöfen Dornbirn und Hohenems in Kontakt zu treten und erhielt dabei wertvolle Angaben über die zu treffenden Maßnahmen. [3]

In weiterer Folge konnte Branner den französischen Kriegsgefangen Jean Mariani dazu gewinnen, direkt mit den unmittelbar auf Rankweil heranrückenden französischen Truppen Kontakt aufzunehmen.
Maria Jenny (Mariani) und deren Schwester versuchten die schon in die Jahre gekommene französische Militäruniform von Jean Mariani einigermaßen instand zu setzen und eine französische Flagge herzustellen.

Mit dem Motorrad fuhr Branner mit Mariani auf dem Sozius sitzend, den französischen Truppen entgegen. Kurz vor Götzis entdeckten sie einen französischen Panzer. Branner zu Mariani: „ab jetzt bist du auf dich allein angewiesen“! Mariani näherte sich mit der französischen Fahne winkend, dem Panzer, dessen Maschinengewehre auf ihn gerichtet waren. Diese Angst einfließende Situation dauerte gut eine halbe Stunde, bis die Franzosen der Loyalität von Mariani glaubten.

Jean Mariani überzeugte die Franzosen, dass er sie ohne Widerstand nach Rankweil und Feldkirch geleiten könne. Auf dem ersten Panzer vorne sitzend (für den Fall dass er sie in eine Falle führen will, wäre er das erste Opfer gewesen) leitete er die französischen Truppen über Koblach, Meiningen, Brederis nach Altenstadt. Jean Mariani überzeugte die Franzosen, dass er sie kampflos nach Rankweil und Feldkirch geleiten könne. Denn die Waffen-SS hatte kurz zuvor eine Verteidigungslinie aufgebaut, indem sie alle Frutzbrücken sprengten, ebenfalls die Illbrücke nach Frastanz. Weiteres hatten sie massive Verteidigungsanlagen am Ardetzenberg in Feldkirch und in der Hinterletze in Rankweil errichtet.

Vorne auf dem ersten Panzer sitzend (für den Fall dass er sie in eine Falle führen will, wäre er das erste Opfer gewesen) leitete Mariani die französischen Truppen über Koblach – über eine flache Furt über die Frutz – Meiningen, Brederis nach Altenstadt. Von dort eilte Mariani schnellstens zur Valduna zurück, um zu befürchtende Gewalttaten und Racheakte an dort verbliebener Kriegsgefangener ­ – zumeist Sowjetrussen und Serben – zu verhindern und »sein« Lazarett Valduna geordnet den französischen Truppen zu übergeben.

Etliche Ärzte hatten sich bereits abgesetzt, die Bedeckungsmannschaft hatte sich zerstreut. Durch Marianis Einsatz konnte das deutsche Reservelazaret ohne Schaden an Personen, an Gebäulichkeiten und Einrichtungen französisches Lazaret werden und blieb vorerst Pflegestätte für die etwa 500 lungenkranken Gefangenen aus aller Herren Ländern. Die Unversehrtheit der Gebäude und ihrer Einrichtungen war grundlegende Voraussetzung dafür, dass in der Valduna auch unmittelbar nach dem Krieg zum Wohl der Kranken weitergearbeitet werden konnte.

Nach Kriegsende war Jean Mariani dank seiner Sprache eine wertvolle Hilfe bei der Kommunikation zwischen dem Rankweiler Bürgermeister Alois Fröhlich und der Besatzungsmacht. Ebenfalls führte er eine vermittelnde Tätigkeit zwischen Rankweiler Bürgern und dem im französischen Anhaltelager in Brederis inhaftierten Nazi-Funktionären aus.

Jean Mariani im Entnazifizierungsbüro Innsbruck

Etliche Jahre war Jean Mariani auch bei der Entnazifizierungs-Sonderkommission in Innsbruck tätig. Auch nach dem Krieg, etwa bis Ende der 50iger und Anfang der 60iger Jahre, wurde er immer wieder ins Krankenhaus Valduna berufen, wenn es Probleme mit der Hauselektrik gegeben hat.

Die Gemeinde Rankweil zeichnet gerne verdiente Bürger mit einem Ehrenzeichen oder gar der Ehrenbürgerschaft aus. Mitunter auch unverbesserliche Nazis, wie die Künstlerin Natalie Beer, welche noch bis zu ihrem Lebensende 1986 in aller Öffentlichkeit nationalsozialistisches Gedankengut verteidigte.
Warum nicht Jean Mariani, der unter Lebensgefahr Rankweil vor größeren Kriegsschäden bewahrte? Möglicherweise weil er überzeugter Sozialdemokrat war.


[1] Folies  =  Torheiten, Verrücktheit, also etwa „Verrücktes Sulz“. Les Folies Bergère ist ein Konzertsaal, Varietétheater und Kabarett in Paris. In den Jahren zwischen 1890 und Mitte der 1930er Jahre hatte es seine größte Popularität.
[2] Kurt Gerstgrasser in »600 Jahre Valduna«
[3] Brief Franz Kielwein vom 7.2.1946


Der französische Autor Nicolas Coursault wird in seinem Buch über französische Kriegesgefangene auch diesen Beitrag über Sergeant Jean Mariani aufnehmen.

Lieber Herr Dietrich ! Das Zeugnis von Jean Mariani und Maria Jenny ist sehr symbolisch. Er muss als Vorbild für zukünftige Generationen dienen und wir müssen diese Erinnerung weitergeben.
Hier ist der Link zum Artikel auf Französisch: https://www.nicolascoursault.com/post/jean-mariani-histoire-d-un-prisonnier-de-guerre Das Buch wird 2021 ins Deutsche übersetzt, aber ich weiß nicht wann. Ich werde euch auf dem Laufenden halten.

Nicolas Coursault  https://www.nicolascoursault.com/